Dann melde ich mich auch noch mal für ein erweitertes Coda, getreu dem schönen alten Zitat von Karl Valentin:
"Es ist zwar schon alles gesagt worden, aber noch nicht von jedem"...
Ich hatte unlängst (ich glaube mit Erzengel) ein Gespräch über das, was ich "semi-religiöse Selbstüberhöhung" nannte, womit ich ausdrücklich nicht (nur) meinte, daß zwischen der Künstlerin und ihrem Publikum eine besondere Beziehung besteht.
Für mich war (und ist) ein wesentliches Element von Farmers "Formel" (und den Begriff meine ich nicht abwertend) daß sie sich selbst wie eine Art unnahbare Lichtgestalt inszeniert, und Francois Hanns - in Folge - inszenierte sie in den letzten drei Konzertfilmen wie Gottkaiserin Kleopatra. Die Bildführung, der gesamte "Blick" der Kameras (und damit der Zuschauer) ist distanziert, als würde man stets "von oben" schweben, man kann zusehen, wird aber in gewisser Weise gleichzeitig ausgesperrt.
Der Erfolg dieser Regie war sehr unterschiedlich, perfekt funktionierte es 2006, wo diese "Distanz" auch rein technisch am radikalsten durchgesetzt werden konnte, allein schon deshalb, weil auch die Kameras fest installiert und von vorne herein in die "Bühne" (also den kompletten Saal) integriert werden konnten. In Folge sieht man an keiner Stelle "Technik", der Zuschauer "schwebt" durch den Film, als wäre er ein körperloses Wesen. Und den generellen "Blick" auf Farmer kann man wirklich nur als sakral bezeichnen, sie wird nicht als Mensch aus Fleisch und Blut gezeigt, die auf der Bühne steht und singt, sondern wie ein fiktives Geistwesen - wie Peter Jacksons "Galadriel" (die dieser gegenüber dem Buch im übrigen maximal falsch umgesetzt hat...).
Der "Mylenium" Film krankt für mich etwas daran, daß er einen ähnlichen "distanzierten" Ansatz mit sämlichen "Rockfilm" bzw. "Rockkameras" Klischees und optischen Mätzchen kombiniert hat, die das Genre hergibt, und dabei kein wirklich rundes Ergebnis herauskam. Zeigt man jemanden (der überhaupt nicht "aus dieser Ecke" kommt) "Bercy 2006", ist fast jeder beeindruckt. Zeigt man aber jemanden als erstes "Mylenium", erntet man tendentiell eher ironische Ratlosigkeit... "was ist das denn?".
Für mich komplett gescheitert ist es bei "Stade de France", nicht daß der Film an sich schlecht wäre, aber in dem Sinn, daß er nicht das geringste mit dem realen Konzert zu tun hat, er zeigt mir quasi ein Konzert "auf dem ich überhaupt nicht war". Ich könnte mir vorstellen, daß es auf den Tribünen im Stadion eine größere Annäherung Film/Realität gab (einige Internet-Videos lassen mich das denken). Ich war aber am ersten Tag (nach drei Zwischenfällen, die extrem gefährlich waren, mich aber ironischerweise brutal nach vorne spülten) direkt an der Mittelbühne, und am zweiten Tag im linken Drittel relativ nahe vor der Hauptbühne. Von der Wirkung, die beide Konzerte auf den Zuschauer (dort) hatten, finde ich absolut nichts im Film. Das hat eine Vielzahl von Gründen, aber hauptsächlich, daß Hanns in dem Film - ähnlich wie in "Mylenium" - den distanzierten Ansatz "von oben" massiv mit MTV-Ästhetik kombiniert hat, und dann auch (Sorry, Francois...) ein paar massive dramaturgische Fehler verbrach. Die Transi mochte er zum Beispiel überhaupt nicht, denn deren beide Bewegungen in der Mitte und im Finale hatten eine unglaubliche Dramatik, die er im Film *völlig* verkackt.
Musikalisch, und "künstlerisch", fand ich die Hallenkonzerte 2009 einen Grand Canyon besser. Aber emotional hat mir Stade de France alles aus der Birne gebombt, was ich jemals erlebt habe (und das ist nun auch eine ganze Menge gewesen). Aber exakt von diesem "Gefühl", das im Wesentlichen von der unvorstellbaren Menschenmasse und deren Reaktion, sowie von der biblischen Montrösität der Stadionbühne mental projiziert wurde, findet sich absolut nix im Film - der macht das Konzert "klein" und laut und bunt und lustig... und so wie bei Madonna, oder Kylie, oder Britney, oder Gaga, oder you-name-it.
"Timeless" ist nun der größte Paradigmenwechsel seit 20 Jahren. Die Konzerte selbst waren radikal anders, Farmer selbst hat dieses "semi-religiöse" dramatisch zurückgefahren. Du meine Güte, was die Frau allein jetzt im Film alles zum Publikum schnattert... soviel Prosa-Text hat sie auf sämtlichen Konzerten der fünf Touren zuvor nicht *zusammen* geredet. In meinem ersten Spontan-Bericht nach Bercy meinte ich, das wäre (für ihre Verhältnisse) schon fast "Mylène spielt'n Gig".
Und der Film setzt dieses ganz radikal und konsequent fort - er hat durchgehend keinen Blick mehr "von oben", sondern "von unten". Der (fiktive) Zuschauer jeder Szene schwebt nicht körperlos vorbei, sondern ist mittendrinn. Die meiste Zeit aus der Perspektive eines realen Standorts (im Innenraum, oder von einer Tribüne herunter), wenn alternativ auf der Bühne, dann quasi aus den Blickwinkeln der Band (gegenseitig, oder auf Farmer), und zuletzt eben sogar (als ironisches i-Tüpfelchen) aus der Sicht der Wölfe.
Insofern wirkt der Film vielleicht rein handwerklich mehr wie eine "Dokumentation" als die früheren, emotional und auf die Wirkung bezogen ist es aber weitaus mehr ein echter "Rockfilm" als jeder andere, und im Unterschied zu z.B. "Mylenium" funktioniert das hier dramatisch besser.
Und ich bin extrem baff, daß "sie" (und damit alle des ewig gleichen Teams) nach 30 Jahren das Risiko einer solchen Änderung wagen, es konsequent durchziehen, und dann auch qualitativ so erfolgreich sind.