Das wäre eigentlich eben in "was hört ihr grade" gelandet, wenn ich mich nicht schon lange fragen würde, warum hierzuforum eigentlich so erschreckend wenig über Françoise Hardy gesprochen wird, nämlich garnicht...
Hardy war (in einigen Aspekten) "wichtiger als die Beatles", sie hat Tugenden Jahre vorweggenommen, die man später Frauen wie Grace Slick oder Chrissie Hynde zuschrieb, und sie hat so ganz nebenbei fünf Jahrzehnte lang geniale Platten gemacht... Aber ihr Back-Catalogue ist seit ebenfalls Jahrzehnten seitens der Plattenfirmen in einem verheerendem Zustand, an dem sie selbst zugegebenerweise auch eine Mitschuld trägt - aber das kann und darf auch nicht Ausrede für alles sein...
Nun, so wie es aussieht tut sich da aber grade etwas, und das nehme ich mal zum Anlaß, zu dem Thema und der Frau ein eigenes Faß aufzumachen. Hardy gilt als personifiziertes "Yeh Yeh Girl" (und damit als französische Beat-Epigonin), was aber selbst die meisten Sixties Experten kaum auf dem Radar haben ist, daß Hardys Debut-LP noch deutlich vor der ersten Platte der Beatles herauskam, und daß sie die erste erfolgreiche Musikerin/Autorin war, die den Löwenanteil ihres Materials selbst schrieb - ein Privileg dessen Erkämpfung man heute meist den Beatles zuspricht.
Wobei genau dieser Umstand ironischerweise auch den Grundstein für jahrzehntelange rechtliche Probleme und den traurigen Zustand ihrer Discographie legte - denn nach französischem Recht "gehörte" die Autorenschaft neuer Lieder damals automatisch dem Produzenten (!) der Platten, und nicht etwa der Person, die sie geschrieben hat... dieser perverse Unfug wurde erst Jahre später per Gesetz abgeschafft, aber rückwirkend mußte man sich einigen, was in Hardys Fall mit jeder Menge Sturheit auf beiden Seiten nicht geschah. Und in Folge verschwand ihr Frühwerk immer wieder nach kurzer Zeit vom Markt, bis auf ein ewig gleiches Set an Titeln auf unzählbaren (und unsäglichen) Trash-Compilations. Daran trägt sie selbst, wie erwähnt, auch ihren Beitrag, aber für den Sammler (respektive Musikhistoriker) ist das kaum ein Trost.
Nachdem also nun, mit ihrer eigenen "Mithilfe", CDs ihrer frühen Vogue-Aufnahmen immer wieder in Rekordzeit vom Markt flogen (und danach nur noch obszön teuer zu bekommen waren), erschien zuletzt 2009 eine Box von Sony/BMG der ersten 6 Alben (fünf französische und das erste englische) die auf dem Markt blieb:
So erfreulich die Schachtel ist, und so (relativ) hoch meine Meinung von Sony/BMG, was Re-Issues und Kulturpflege alter Aufnahmen angeht (quasi die Einäugigen unter den anderen beiden Blinden) ist, so hat man sich mit der Box allerdings nur teilweise mit Ruhm bekleckert. Gegenüber den früheren vergriffenen CDs fehlten tatsächlich ein paar der Singles als Bonus-Tracks, und dann hat die englische LP auch noch einen groben Mastering-Fehler, der nie korrigiert wurde, und den man nur durch den Erwerb einer weiteren CD kompensieren konnte und kann. Aber immerhin, ihr Frühwerk ist wieder (halbwegs umfassend) auf dem Markt.
Und nun hat sich der Zahn der Zeit auf 50 Jahre durchgenagt, und wie es aussieht, scheinen die Vogue Aufnahmen mehr oder weniger vogelfrei zu werden, denn seit Anfang 2013 hagelt es plötzlich teils gewissenhafte, teil halbseidene Wiederveröffentlichungen - immer schön nach Ablauf der besagten 50 Jahre.
Den Anfang machte Cherry Red in UK mit einer exzellent aufgearbeiteten CD ihres Debut-Albums (mit den inoffiziellen Namen "Tout les garcons et les filles" und "The Yeh Yeh Girl from Paris"):
Die zusätzliche Überraschung daran waren die Bonus-Tracks, nämlich die komplette erste italienische LP. Hardy verwarf später alle fremdsprachigen Aufnahmen, aber speziell die italienischen waren und sind die obskursten von allen und heute kaum überhaupt noch aufzutreiben. Die einzige CD Ausgabe jemals war eine lange vergriffene CD namens "Il Meglio" mit 8 der 10 Titel der ersten LP. So wie es aussieht hatte Cherry Red exakt diese 8 Aufnahmen, wahrscheinlich auch exakt von dieser CD, und die fehlenden zwei Tracks wurden von (ziemlich rumpeligen) Vinyl-Platten kopiert. Nichtsdestotrotz im letzten Jahr eine kleine Sensation.
Bis nun dieses Jahr kein Halten mehr zu sein scheint und drei aktuelle Neuausgaben die Cherry Red CD schon wieder ausstechen. Die vom Inhalt mit Abstand besten CDs mit den Vogue Alben 1 und 2 erschienen nun auf dem französischen Liebhaber-Label "Magic-Records":
Das erste Album enthält als Bonus den kompletten Mono-Mix der LP (was bei Sixties-Alben, aus den bekannten Gründen, immer die erste Wahl ist), das zweite Album enthält diverse Singles als Bonus, sowie 6 italienische Tracks aus der Zeit - wie gesagt, 1963 ist aktuell wohl der rechtliche Flaschenhals.
Und es gibt eine weitere Wiederveröffentlichung aus Italien, die die Cherry Red CD damit obsolet macht:
Diese CD enthält die komplette erste italienische LP in (leider) der gleichen gemischten Klangqualität wie die Cherry Red Bonus-Tracks, plus weitere 12 Bonus-Tracks mit allen restlichen italienischen Aufnahmen vor 1964, der Großteil davon zum ersten Mal überhaupt auf CD.
Damit ergibt sich für's erste eine recht klare Kaufempfehlung... wer nicht bis 2017 warten will und mit den Patzern in der Sony-Box leben kann, besorgt sich am besten genau diese, solange sie auf dem Markt bleibt. Ansonsten sind die beiden CDs auf Magic-Records erste Wahl, plus (für Komplettisten und Historiker) die italienische CD auf Jolly-Records. Und nächstes Jahr kann man dann wohl auf eine Ausgabe der "Mon amie la rose" LP von 1964 auf Magic-Records spechten.
Aber eins noch zu dem Thema...
So erfreulich die Situation auch auf den ersten Blick scheinen mag, daß sich nun Liebhaber-Labels auf dem Markt melden und diese Lücken schließen - aber keines dieser Labels hat Zugriff auf die Masterbänder. Im besten Fall könnten sie (teures) Original-Vinyl erwerben und restaurieren, was gar nicht so schlecht sein muß, denn wenn es nicht verkratzt und verformt ist, hielt sich darauf der Klang in 1:1, während Magnetbänder nach 50 Jahren *immer* in einem hörbaren Maß degeneriert sind.
Tatsächlich macht man sich diese Kosten und Mühen aber nicht und bediente sich eher im Netz - und speziell einige der Aufnahmen auf der italienischen CD stammen hörbar von mittelmäßigen MP3. Gut remastert, im Rahmen der Möglichkeiten, aber eben nicht so wie es sein könnte und sein sollte.
Ich habe *kein* Verständnis dafür, daß sich Sony/BMG nicht darum kümmerte, solange sie noch die exklusiven Rechte an den Aufnahmen hatten - auch wenn die Uhr tickte. Jetzt ist der Zug durch, denn ob Sony heute noch Zeit, Geld und Arbeit in Alben steckt, die es "vogelfrei" von einem Dutzend Trittbrettfahrern auf dem Markt gibt, ist fraglich - und damit dürften die Originalbänder, soweit sie noch existieren, in den Archiven bleiben bis sie wirklich verrottet sind.
Zuletzt geändert von MartinC am 21. Aug 2017, 17:47, insgesamt 2-mal geändert.
imagine hat geschrieben:bin ich da wohl auch noch zu jung für
Moooment... bloß weil ich hier aus aktuellem Anlaß über ihre ersten beiden LPs spreche, heißt ja noch lange nicht, daß sie nach der dritten ihre Arbeit eingestellt hätte...
2012 hatte sie grade ihr bislang letztes Album rausgebracht, je nach Zählweise ihr vierundzwanzigstes, siebenundzwanzigstes, neunundzwanzigstes oder vierunddreißigstes... Und, das sehen viele so, vielleicht ihr bestes und stärkstes. Alben sind über ein halbes Jahrhundert hinweg schwer zu vergleichen.
Und das gibt es aktuell sogar bei Amazon.de und JPC zum Dumping-Preis.
Und seit dem letzten Record Store Day liegt auch eine Vinyl 7" in jedem Indie-Laden, sprich die Dame ist ungeachtet ihrer Jahre eine coole Socke.
Genau dieses Album habe ich mir vor zwei Wochen in Paris im FNAC gekauft (bei einer 4 CDs für 20€ Aktion) und ich bin sehr begeistert. Insofern vielen Dank für Deinen Beitrag Martin, er kommt gerade zur rechten Zeit, um meine 1 CD-Hardy-Sammlung kurzfristig zu ergänzen .
Nächsten Freitag muss ich die Musik dann kurzfristig leise drehen, wenn Frankreich Deutschland aus der WM wirft, um nicht als Verräter dazustehen
13.09.13 Paris * 15.10.13 Straßburg * 15.11.13 Brüssel 11.06.19 Paris * 12.06.19 Paris * 22.06.19 Paris
03.06.23 Lille * 17.06.23 Genf * 22.07.23 Brüssel
27.09.24 Paris * 28.09.24 Paris * 01.10.24 Paris
imagine hat geschrieben:Aber nach deinem Post bin ich da wohl auch noch zu jung für.
Das ist sowieso ein unsinniges Argument.
Demnach dürfte niemand überhaupt klassische Musik hören. Denn dafür wären wir alle zu jung.
Nur das man damit ja in der Schule zur genüge bombadiert wird Aber im Ernst: Ich könnte mich nicht dran erinnern, dass wir im Musik-Unterricht irgendwie auf die jüngere Musikgeschichte eingegangen sind, sondern irgendwann hat das einfach geendet. Aber die deutschen Lehrpläne sind eh größtenteils Käse.
@ Martin: Achso Na dann schreib das doch gleich
Plus loin plus haut... j’atteins mon astre... Shakira / Mylène / Blog
imagine hat geschrieben:@ Martin: Achso Na dann schreib das doch gleich
Wie wäre es für den Anfang z.B. mit diesem Satz:
MartinC hat geschrieben:und sie hat so ganz nebenbei fünf Jahrzehnte lang geniale Platten gemacht
Zu Deiner Verteidigung sei angemerkt, daß Hardy niemals Mainstream-Hits und Gassenhauer hatte (und wollte), und deshalb in Folge (weder damals, noch heute in Oldie Shows) omnipräsent in Erscheinung tritt. Ihre Alben waren/sind ausnahmslos gut, aber sie machte in den 70ern keine Disco, in den 80ern keinen Synthie-Pop, in den 90ern kein HipHop und in den 2000ern keinen Super-Mega-Karaoke-Remix-feat-DJ-Döskopp etc...
Sie war aber z.B. in den frühen 80ern nicht minder aktiv als z.B. France Gall, die in den Sixties nur wenige Jahre nach ihr begonnen hatte, und die Du - vermutlich - zumindest dem Namen nach kennst. Was natürlich (auch) damit zusammenhing, daß letztere in den 80ern Zeitgeist-kompatible Hits machte, und Hardy eben nicht.
Und auch der Umstand, daß Hardy nach 1967 nicht mehr live auftreten wollte, und das (bis auf 1-2 Lieder Gastauftritte, und einem einzigen one-off Mini-Set Mitte der 80er auf dem Festival in Montreux) auch bis heute durchzieht.
Dann machen wir aus aktuellem Anlaß mal weiter... es ist schade, daß es außerhalb von England kein Magazin wie den Record Collector gibt, wo Informationen wie diese eigentlich hingehören, aber da machen wir aus der Not einfach eine Tugend und bloggen das fröhlich hier weiter...
Im ersten Post hatte ich bereits auf die Box La Collection 62-66 (Coffret 6 CD) verwiesen, die Hardys erste 6 Alben auf Vogue beinhaltet, und zwar fünfmal Hui und einmal Pfui. Letzteres ist ihre erste englische LP, die Sony in mehrfacher Hinsicht verbockt hat, auf der positiven Seite Hardys erste 5 französische LPs "Tous les garçons et les filles", "Le premier bonheur du jour", "Mon amie la rose", "L'amitié" und "La maison où j'ai grandi". Nachdem die ersten beiden inzwischen vogelfrei zu sein scheinen und in mehrfachen Re-Issues vorliegen, gibt es die weiteren zunächst immer noch ausschließlich in dieser Box, die CDs in "Vinyl Replica" Cardboards, dazu ein dickes Booklet und das ganze in einer stabilen Box mit Deckel. Und weiterhin enthalten die französischen CDs Bonus-Tracks mit allen non-Album Singles und B-Seiten der zugehörigen Zeit.
Nun gibt es eine neue Box, die quasi diese Box fortsetzt, wenn auch mit erheblichen Pros und Contras:
Das Pro ist der Preis, die Schachtel bekommt man nämlich derzeit für 15 Euro und damit billiger als die meisten Einzel-CDs in Frankreich, der Inhalt sind ihre französischen Alben 6-10 nämlich "Ma jeunesse fout l'camp", "Comment te dire adieu", "Soleil", "La question " und "L'éclairage". Das Kontra ist der Umstand, daß die Schachtel keinerlei Vergleich zum Vorgänger ist - die CDs sind wieder in Cardboards, aber die stecken ohne jedes Booklet in einem schmalen dünnen Pappschuber, womit man teilweise noch nicht mal lesbare Tracklists bekommt, weiterhin sind die CDs einfache Kopien der bisherigen Jewel Case Ausgaben und ohne jegliche Bonus-Tracks. Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil es die Hälfte der non-Album Tracks überhaupt noch nie auf CD gab, und die anderen nur auf verschiedenen teils auch schon lange vergriffenen Compilations.
Wie man es hätte besser machen können, zeigt Album Nummer 11, das letztes Jahr als remasterte Doppel-CD rauskam:
Und damit enden bislang die aktuellen Re-Issues, die weiteren CDs gibt es (sofern überhaupt noch in Print) nur als Altbestände aus den 80ern.
Nachdem ich im ersten Post die italienische CD Réédition Italienne/Disques Vogue gelistet habe, ist das eine gute Gelegenheit noch auf ihre (Alarm, ducken...) deutschen Platten zu sprechen zu kommen. Ihre italienischen Platten sind weitgehend ein Mysterium, sie hat sich kaum je dazu geäußert, und einige der Singles muß man heute, zumindest in irgendwie akzeptabler Qualität, als verschollen bezeichnen. Die CD auf diesem wunderlichen Jolly/Saar Label dürfte somit das ultimativ letzte Wort sein und bleiben, was diese Aufnahmen (und deren restaurierte Qualität) betrifft.
Anders sieht es mit ihren deutschen Aufnahmen aus, von denen zumindest die frühen in sauberen Mastern existieren und auf dem Markt sind. Dem Rock-Hörer aus dieser Zeit stehen die Haare zu Berge, wenn man deutsche "Schlager" überhaupt nur erwähnt, aber in diesem Fall empfiehlt sich trotzdem eine etwas differenzierte Betrachtung (selbst wenn man sie am Ende trotzdem nicht hören mag).
Hardy sprach damals so gut wie kein Englisch, aber recht passabel Deutsch, und während sie in England eine machtlose Marionette war, hatte sie wohl in Deutschland die Möglichkeit auch "Nein" zu sagen, was man den Aufnahmen durchaus anhört. Zur Erläuterung möchte ich mal exemplarisch ein Lied herausgreifen, nämlich "J'aurais voulu" aus dem TV-Clip von oben. Dieses Lied existiert nämlich sowohl in einer englischen als einer deutschen Version.
Das englische Lied "I wish it were me" ist das Jammern eines Mädchens, dem der Freund ausgespannt wurde, von einem hübscheren, klügeren und "besseren" Mädchen. Nettes Liedchen, aber platt wie eine Flunder. Das deutsche Lied "Ich hab' das Glück" scheint ähnlich zu sein, hat aber einen dramatischen Unterschied: Die Nebenbuhlerin *existiert* nämlich (noch) gar nicht! Die Protagonistin ist einfach nur unsicher, sie ahnt, daß "eines Tages" eine hübschere, klügere und bessere Konkurrentin kommen wird, gegen die sie keine Chance hat, und träumt nur davon, doch "eines Tages" selber das Glück zu haben, daß der Freund bleibt. Mit Verlaub, zwischen diesen beiden Liedern liegt ein Grand Canyon an Qualität und Bedeutung - das englische Lied ist eine banale Schnulze über Betrug und Treuebruch, aber das deutsche ist ein Psychogramm über Angst, Unsicherheit, Selbstzweifel und den Minderwertigkeitsgefühlen sehr junger Menschen - das was die Engländer "Teenage Angst" nennen. Und 99% von dem, was die englische Popmusik seit 40 Jahren verzapft ist durchaus peinlicher, weshalb man diese Aufnahmen jetzt nicht zwangsweise mögen muß, aber auch nicht leichtfertig verdammen sollte,
Ihre erste deutsche LP "In Germany" von 1965 erschien als Album nie auf CD, es gibt aber eine Mid-Price Compilation, auf der alle 12 Titel der LP plus der einzigen non-Album B-Seite (zusammen mit 13 französischen Vogue Titeln wild durcheinandergemischt) enthalten sind:
1970 erschien eine zweite deutsche LP von ihr mit dem Titel "Träume", die (bis auf das Titellied, das Hardy als einzige nicht-französische Aufnahme heute noch gelten läßt) niemals auf CD erschien, auch nicht Teile auf Compilations. Bizarrerweise sind aber die 3 non-Album B-Seiten dieser Phase als Bonus auf der neuen "Message Personnel" Doppel-CD. Eine Veröffentlichung von "Träume" auf CD wäre überfällig, dürfte aber vermutlich in diesem Leben nicht mehr geschehen.
Das nächste Kapitel ist nun die Geschichte ihrer 4 englischen LPs, die ausgesprochen verworren und schwierig ist - und deshalb irgendwann demnächst als eigener Text kommt... stay tuned.
Eigentlich wollte ich hier ja damals zeitnahe weiterschreiben...
Es gibt gute und schlechte Nachrichten über ihr Lebenswerk auf CD und einen aktuellen Anlaß, der mir diesen Thread wieder in Erinnerung gerufen hat. Daher, nun, der Reihe nach.
Die richtig schlechte Nachricht ist, daß die oben verlinkte 6er Box mit (fast) ihrem kompletten Vogue-Frühwerk dieser Tage Out Of Print gegangen ist und (als Neuware) inzwischen auf Mondpreisen steht. Wer sie noch haben mochte/möchte, der muß sich wohl sputen, den der Markt mit Hardy-Raritäten ist in Frankreich inzwischen tot wie der von Farmer - die Läden sind leergekauft und die wenigen wertvolleren Platten, die noch sporadisch auf den Markt kommen, gehen trotz obszöner Preise praktisch sofort wieder über den Tresen. Ich stelle mich auch langsam darauf ein, daß ich das, was mir noch fehlt, wohl nimmermehr bekommen werde...
Es gibt aber auch eine gute Nachricht dazu, die ersten 5 französischen Alben wurden schon letzten Herbst überraschend in den USA von den Masterbändern transferiert auf dem Liebhaber-Label Light In The Attic als Digipaks wiederveröffentlicht, und zwar in den Mono-Originalen, was eine kleine Sensation ist. Die vergriffene Vogue-Box war Stereo, und was die (letztlich authentischen und definitiven) Mono-Master angeht, war bisher lediglich das Debut-Album in Mono (als Bonus) auf der Ausgabe von Magic Records, und zwar von einer nicht perfekten Tape-Quelle.
Die Qualität der neuen "Archive 1-5" CDs ist atemberaubend, nur das Debüt-Album klingt auch Mono etwas "toppy" im Sound (was wohl schlichtweg so war, denn selbst Vinyl-Rips im Netz klingen stets vergleichbar), aber insgesamt ist Hardys Stimme Mono heftig dominanter eingemischt und die Rhythmus-Tracks hart und giftig. Kurz gesagt, die 5 Alben klingen wie Beat-LPs und nicht (wie in den 60ern halt üblich bei den nachgemixten Stereo-Varianten) wie semi-akkustische Folk/Beat/Bubblegum-Psychedelic Alben.
Die US CDs sind direkt vom Label Light In The Attic extrem günstig ($50 für alle), wobei da evtl. heftiges Porto und mit Sicherheit Zoll dazukommt. In Europa sind sie tatsächlich auch im Vertrieb, aber teuer ab Großhändler, so daß es keinen Endpreis unter 20 Euro pro Stück geben kann. Einige deutsche Saturns/MMs haben sie zur Zeit für diesen Preis im Laden.
Was den 5 Mono-CDs aber fehlt, sind jegliche Bonus-Tracks der zahllosen französischen Singles und EPs, sowie die komplette 6. LP "In English", womit wir bei der eigentlichen Fortsetzung dieses Threads sind...
FRANCOISE HARDY AUF ENGLISCH
Hardy auf Englisch ist ein in jeder Hinsicht problematisches Thema. Sie sprach kaum Englisch (im Gegensatz z.B. zu Deutsch, das sie halbwegs verstand) und hatte in England kaum Autorität bei der ausführenden Plattenfirma. Im Ergebnis sah sie sich gezwungen, relativ flache bis trivilale Texte zu singen, bzw. Coverversionen, die ihr häufig schlichtweg aufs Auge gedrückt wurden. In Folge weigerte sie sich nach ihrem vierten englischen Album (ironischerweise das beste) ihre UK-Karriere überhaupt fortzusetzen und distanzierte sich später pauschal von allen ihren englischen Aufnahmen kategorisch, bis zu dem Punkt, daß sie heute sogar die Existenz der dritten LP verleugnet und in ihrer eigenen Discographie so tut, als hätte es das Album niemals gegeben.
Diese Ablehnung von ihrer Seite in Verbindung mit fehlendem Interesse ihres UK Labels, sie überhaupt als Künstlerin ernstzunehmen, spiegelte sich dann Jahrzehnte später in der Fast-Unmöglichkeit wieder, ihr englisches Werk auf CD bekommen zu können. Heute ist es immerhin etwas möglicher geworden, wenn auch weiterhin schwierig.
Die Frage lautet: Will man diese Aufnahmen haben und wenn ja warum? Die beiden Antworten lauten: Liebt man französische Chansons und/oder Hardy als Lyrikerin, kann man auf die Alben verzichten. Liebt man Hardy als Sängerin und/oder Sixties-Beat, speziell die franz. YehYeh-Ära, kommt man um diese Platten ernsthaft nicht herum. Abgesehen davon existieren von einer großen Zahl der englischen Aufnahmen keine französischen Originale, und neben banaleren Übersetzungen und Covern findet man auch Juwelen - wie ihre Version von "(How Can We) Hang On To A Dream" von Tim Hardin oder ihr komplett umgebautes "Tiny Goddess" von Nirvana (die englische Sixties-Band aus UK, nicht die Grunge-Band aus Seattle...).
Es waren immerhin diese Aufnahmen, die sie in England zur Göttin machten, nicht die französischen Vogue-LPs. In meinem Review zur "Midnight Blues" CD verglich ich die LPs mit dem "Chelsea Girls" Album von Nico, nur "statt dessen sakraler melancholischer Schwere mit einer beschwingten mädchenhaften Leichtigkeit, und statt Nicos brachialem deutschen Akzent mit Hardys brachialem französischen"... Das trifft es ziemlich genau.
1) IN ENGLISH (1966)
Die einzige CD, die das vollständige Material von 1966 enthielt, hieß "All Over The World" auf dem Label Mode Laser und sah aus wie eine Trash Best-Of:
Die CD würfelte allerdings (ohne Bezug auf die ursprüngliche LP) alle Tracks durcheinander, dafür enthielt sie eingeflochten auch alle Single- und EP-Tracks dieser Aufnahme-Phase. Damit ist sie eigentlich für den Sammler alternativlos, aber heute nur noch schwer und in gutem Zustand üblicherweise teuer zu bekommen.
Eine Abhilfe hätte die Vogue 6er-Box sein können, wenn es nicht zwei (inzwischen drei, da auch noch vergriffen) Pferdefüße gäbe. Zunächst lag die LP im Original-Cover und mit ein paar Bonus-Tracks in der Kiste:
Hier fehlte aber (gegenüber der Mode Laser CD) die komplette EP "Catch A Falling Star", "Find Me A Boy, "Only Friends, "I Wish It Were Me". Und dann hat(te) die CD noch einen brutalen Mastering-Fehler in "The Rose" (hörbarer digitaler Aussetzer), den Sony/BMG nie reparierte.
Eine intakte Version von "The Rose" fand man z.B. auf der Raritäten-CD "All Over The World" von Sony/BMG (nichts zu tun mit der Mode Laser CD):
Die fehlende EP bekam man theoretisch auch mal auf einem Sampler von Magic Records, der aber letztlich heute genauso teuer ist wie die Mode Laser CD:
2) EN ANGLAIS (1968)
Bis vor einem halben Jahr war die zweite englische LP die mit Abstand seltenste Platte auf CD, denn sie war 1990 nur ein einziges Mal "für ein Wochenende" in Japan auf Epic als CD erschienen, und zwar mit dem Cover der alten japanischen Vinyl-LP:
Diese CD ist dermaßen obszön selten, daß sie bis vor kurzem noch nicht einmal einen Eintrag bei Discogs hatte. Inzwischen steht sie dort mit Horrerpreisen ein, aber inhaltlich ist sie tatsächlich, und zum Glück, heute obsolet.
Beide Fassungen enthalten nur die 12 Originaltracks, ohne Bonus.
[Edit PS:] Im Eifer des Gefechts vergessen und jetzt der Vollständigkeit nachgetragen - es gab 1968 noch eine Single mit 2 non-Album Tracks, "Now You Want To Be Loved" und "Tell Them You're Mine", die aber vom Stil in der Regel immer eher dem nächsten Album zugeschlagen wurden. Aus dem Grund schrub ich hier auch zunächst "es gibt für dieses Album auch keine weiteren Bonus-Tracks". Die beiden Titel wurden später nie mehr auf irgend einer anderen LP, Compilation oder CD wiederveröffentlicht, man bekommt die 7" Single aber in England noch bezahlbar in gutem Zustand auf dem Markt.
3) ONE-NINE-SEVEN-ZERO (1970)
Womit wir zum obskursten Album kommen, das Hardy so wenig mag, daß sie es heute verleugnet. Diese Abneigung ist allerdings ähnlich irrational (bzw. nicht musikalisch begründet) wie ihre Ablehnung der frühen französichen Vogue-Alben, "1970" ist "so-so", aber nicht anders "so-so" als die beiden Vorgänger, die sie nicht ignoriert.
Die einzige vollständige Ausgabe auf CD erschien in England als "The Francoise Hardy Collection" auf dem obskuren Easy-Listening Sublabel HMV Easy, das nur in den eigenen HMV Fillialen verkauft wurde, aber nicht über den Großhandel. Die CD begann mit der kompletten LP und war danach noch mit einem Best Of der französischen Vogue Alben befüllt.
Das dubiose Image dieses Labels hilft, die CD heute gebraucht recht preiswert zu bekommen, da es die meisten Händler gleich unter Hausfrauen-Ramsch listen.
Eine Beinahe-Alternative ist die kürzlich erschienene CD "Midnight Blues" auf Ace Records:
Eigentlich sollte die CD mal die kompletten Alben 3+4 enthalten, aber Hardy höchstpersönlich schaffte es in letzter Sekunde zu intervenieren und das Lied "Soon Is Slipping Away" entfernen zu lassen, stattdessen wurde ein Track der 2. LP genommen. Warum? Die Antwort, mein Freund, kennt ganz allein der Wind...
"Soon Is Slipping Away" war damals sogar eine 7" Single, die es in UK und USA in unterschiedlichen Abmischungen gab, sowie die hübsche B-Seite "The Bells Of Avignon" hatte. Der US-Mix und die B-Seite sind niemals auf CD erschienen, und die HMV-CD ist die einzige CD, die überhaupt jemals das Lied hatte. Die beiden Vinyl-Singles sind *abartig* selten.
4) LOVE SONGS (1972)
Und schließlich das vierte und letzte englische Album, und auch wenn Hardy dieses mit allen anderen verwarf, ist es eine exzellente Platte. Hardy hatte diesmal Einfluß auf die Produktion und Songauswahl, und die Aufnahmen wurden mit Leuten von Fairport Convention eingespielt - mehr muß man dazu eigentlich nicht sagen...
Das Album war unter dem Namen "If You Listen" noch bis kürzlich in Print:
Es befindet sich aber auch vollständig auf der obigen "Midnight Blues" CD.
FAZIT
Nimmt man die "Les Annees Vogue 62-68" Box (trotz ihrer Macken) als letztlich alternativlos, dann bekommt man heute mit der neuen "En Anglais" CD und der "Midnight Blues" fast das ganze englische Werk. Möchte man die Alben intakt und komplett, kommt man um die Suche nach den alten CDs nicht herum.