Man verzeihe mir den Ausdruck, aber Stuttgart gestern war einfach nur geil... die PA war ungewöhnlich aufgehängt (von diesem Sektor verstehe ich Null und verneige mich immer nur vor den Profis), und wir hatten noch niemals in der Liederhalle einen solchen guten Sound - nix hat in der Halle gerattert (was es sonst immer tut), warm, transparent, einfach brillant. Wenn der Mann jetzt morgen auch noch einmal die Jahrhunderthalle Frankfurt um diesen Faktor steigert, dann Holla die Waldfee...
Ich bin gestern vorm Soundcheck endlich mal dazu gekommen, etwas zu machen, was ich schon ewig vorhatte, nämlich ein paar der historischen "Artefakte" richtig zu fotografieren, die der Zuschauer in der Regel kaum bis gar nicht zu Gesicht bekommt. Wenn wir schon alle (zwangsläufig) ein gewisses Nerd-Image von Erwachsenen haben, die mit Dampfloks spielen, kann man es ja auch mal richtig zelebrieren...
Hier also meine Top 3 der exotischsten Relikte aus unserem Genesis-Wanderzirkus...
A Cabinet of Curiosities
Platz 3) "The Echo Chamber"
Genesis nutzten vor 40 Jahren ziemlich massiv Reverb und Echo an ein paar dramaturgisch wichtigen Stellen. Heute ist das kein großes Thema, das ist in jedem digitalen Soundboard mehr oder weniger eingebaut und muß nur kanalweise zugeregelt werden. Könnten TMB natürlich auch machen, wäre aber langweilig... und wie heißt es so schön "if it's worth doing it's worth overdoing" und "no risk no fun".
Also steht, vom Zuschauer wohl komplett unbemerkt, ein 40 Jahre altes "Watkins Copicat" neben dem Mischpult, das exakte Modell, das Genesis damals neben ihrem Mischpult stehen hatten und durch das die ausgewählten Kanäle mit Kabeln durchgeschleift werden. Das Prinzip ist klassischer Steampunk... eine Tonbandschleife kreiselt endlos über eine Reihe Tonköpfe, der erste ist ein Aufnahmekopf, dahinter liegen 4 Wiedergabeköpfe, die man wahlweise zuschalten, rudimentär regeln und dann noch die Laufgeschwindigkeit des Bandes stufenlos einstellen kann. Und bei jeder Show Stoßgebete in den Technik-Himmel schicken, daß sich das Ding nicht selber zerlegt.
In Paris im Olympia ist letzte Woche mitten im "Foxtrot"-Konzert das Band gerissen, die Techniker mußten also im laufenden Betrieb und bei Dunkelheit blitzschnell ein neues Ersatz-Tape einfädeln, ohne die Show zu beeinträchtigen oder gar zu stoppen. "Man gönnt sich ja sonst nichts"...
Platz 2) "The Double-Neck Guitar"
Heute sind Doppelhals-Gitarren einfach zu bekommen, aber in Serie wurden sie erst Ende der 70er Jahre gebaut. Vorher gab es nur Einzelanfertigungen, d.h. Mike Rutherford ging 1973 zur Gitarrenfirma seines Vertrauens, sagte ihnen, was er für die "Selling England" Tour gerne hätte, und die bauten ihm dann ein Spezialexemplar.
Für TMB war dies naturgemäß ein erhebliches Problem. Auch wenn Genesis ihnen zeitweise vereinzelte Instrumente liehen (die horrend versichert wurden, versteht sich), *diese* Gitarre gab Mike Rutherford nicht her, weil sie im Falle eines Unfallschadens oder Diebstahls für keine Versicherungssumme der Welt wiederbeschaffbar wäre. Und dazu kommt ein weiteres Problem: Rutherford ist Rechtshänder, aber Sebastien Lamothe von TMB ist Linkshänder... und während man einzelne Gitarren "umdrehen" kann, geht das bei einem Doppelhals nicht, weil man dadurch die Art der Bespannung (im Konzert 4-String Bass unten und 12-String Guitar oben) vertauscht und man sie folglich nicht mehr wie geplant und notwendig spielen kann.
Die Lösung war so einfach wie radikal: Die TMB-Techniker besuchten Mike Rutherford zuhause und fotografierten und vermaßen seine Gitarre. Man fand und erwarb zwei alte historische Gitarrenmodelle des Herstellers, die alle verwendeten Bauteile enthielten, demontierte und zersägte sie, fertigte aus den Holzteilen den Körper nach und baute mit den alten Original-Elementen die Gitarre neu auf - nur eben spiegelverkehrt.
Damit existieren von dieser Gitarre nun genau zwei Exemplare auf der Welt, das Original von Mike Rutherford und eine seitengespiegelte Kopie von TMB.
Das mag einem schon maximal obskur vorkommen, aber mein absoluter und uneingeschränkter Gewinner ist...
Platz 1) "The Strand Projector"
Eine riesige, schwere Metallkiste, die wahrscheinlich noch nie jemand gesehen hat, weil sie vor allen Blicken verborgen immer hinter der Bühne steht, direkt hinter der Bühnen-Dekoration.
Sie kann nur eine einzige Sache, die aber kann sie atemberaubend - nämlich lodernde Flammen projezieren. Heute würde man dafür einen LED-Screen nehmen, oder zumindest einen Beamer mit einem Video-Film. Anfang der 70er gab es aber noch nichts davon, und so baute eine kleine italienische Firma diesen Projektor für Theaterinszenierungen. Im Inneren befinden sich Glasscheiben, die mit der Hand bemalt wurden und die sich mit einer komplizierten Mechanik vor einem Scheinwerfer bewegen. Das Ergebnis ist ein unglaublich realistischer "analoger" Flammensturm, der sich mit keiner digitalen Technik der Welt in dieser visuellen Magie simulieren ließe.
Trotzdem war es natürlich ein "One Trick Pony", das dann vor 40 Jahren überall schnell eingemottet, entsorgt und vergessen wurde. Genesis waren vielleicht sogar eine der letzten Produktionen, die ihn auf der Tour 1973/74 überhaupt noch einsetzten.
Heute existieren nach unserem Wissen auf der ganzen Welt überhaupt nur noch zwei funktionstüchtige Exemplare, im Besitz von einem Theatermuseum in Quebec. Und da deren Leitung es am liebsten sieht, wenn die Zuschauer ihre Exponate nicht eingestaubt und unscheinbar in einer Ecke stehend erleben, sondern *so*, wie sie einmal gedacht waren - in Arbeit auf einer Theaterbühne - haben TMB diese beiden Exemplare als Dauerleihgabe, und so stehen diese letzten beiden Mohikaner heute brüderlich rechts und links hinter der TMB-Bühne, und wenn die "Apocalypse in 9/8" losbricht, brennen sie jeden Abend für ein paar Minuten noch einmal ihr atemberaubendes Höllenfeuer ab. Diabolique mon ange...