Meine 4 Pfennige sehen so aus:
Ad1) Falls jemand damals auch den Vorentscheid gesehen hatte, Levina war die einzige Frau, die überhaupt (live) singen konnte, die anderen hatten durchgehend so vergeigt, daß es der sprichwörtlichen Wutz graust. Insofern hatte sie den Vorentscheid absolut verdient gewonnen, eine belastbare Aussage über die Qualität/Erfolgsaussicht war es aber nicht.
Ad2) Das LIed ist "ganz nett", aber/und wir wissen alle, von wem "nett" die kleine Schwester ist. Will man mit sowas punkten, muß man alles in die Wagschale werfen, was man hat. Ich habe zufällig ein paar Minuten von der Levina-Doku auf One gesehen, und da kam sie (bei den Promo-Auftritten) sehr gut rüber. Sie hat (vor allem wenn sie ihre Haare hängen läßt) eine sehr mädchenhafte Körpersprache, und wenn sie zu reduzierten Arrangements singt und dabei zappelt, auch eine ordentliche (gute) Bühnenwirkung. Aber beides verpufft, sobald sie mit dieser komischen aufgebretzelten Kunstfrisur stocksteif auf der Bühne steht.
Ad3) Sie ist eine richtige Musikerin, hat(te) eine eigene Band in London, kann live spielen, hat aber offenkundig keine Halb-PlayBack Erfahrung. Vielleicht könnte man das auch mal rechtzeitig mit den richtigen Leuten üben (lassen)? Nur so als Idee...
Ad4) Womit wir wieder beim "Ann-Sophie Syndrom" sind, nämlich dem Unterschied von Vorentscheid zum Wettbewerb. Er ist diesmal nicht ganz so krass wie bei Ann-Sophie, aber wieder deutlich, und deshalb haben wir ja jetzt auch Spanien regelrecht niedergerungen... (Humour, Orc Orc Orc)
Das hier war der Vorentscheid. Ihre Stimme ist klar und dominiert das Arrangement, sie spielt mit der Phrasierung und man hat das Gefühl, daß ihr Gesang die Musik dirigiert. Sie bewegt sich natürlich auf der Bühne, ihre Gestik sieht aus, als würde sie mit dem Publikum kommunizieren. Der Stop/Go Charakter des Lieds wird durch ihren Gesamtauftritt unterstützt, sie und der Song wirken liebenswert und ich hätte gesagt, daß das beim ESC für ein ordentliches Mittelfeld reichen sollte (nicht mehr, aber auch nicht weniger):
Und nun der ESC-Auftritt. Ihre Stimme ist heiser und hörbar gedoppelt, sie klingt, als wäre sie Teil von einem Backing-Chor. Die Stimme "dirigiert" nicht mehr die Musik, sondern plärrt ihr ohne eigene Phrasierung hinterher - überhaupt fehlt der Musik diese charakteristische "Verdamp Lang Her/Turn It On Again" Gitarre und ist jetzt nur noch ein undynamisches Tschak-Bumm Gepappe aus akustischem Plastik. Und ihre Körpersprache hat absolut nichts mädchenhaft/natürliches mehr, der Show-Effekt mit dem LIegen/Aufstehen wirkt inszeniert, danach steht sie wie Ann-Sophie seelig angenagelt starr (die 5 Schritte am Ende retten es nicht mehr) und schmeißt ein steriles Dauergrinsen in die Kamera, mit über-pathetischen Handbewegungen wie eine Musical-Tusse auf einer Automobilmesse bei der Präsentation des neuen Zwölfzylinders:
Sorry, aber das war einfach Käse. Ein mittelmäßiger englischer Schlager Aszendent Fahrstuhlmusik, ohne Emotion, ohne daß die Interpretin symphatisch rüberkommt, ohne daß es was Spektakuläre zu sehen gibt, ohne daß ein viraler Riff im Ohr bleibt, oder kurz gesagt: für den Rest der Welt außerhalb Deutschlands die ideale Pinkelpause. Und das Ergebnis davon ist zwangsläufig Bottom 5. Überraschend, unerklärlich, ungerecht? Nein.
PS: Für diejenigen, die es nicht gesehen haben - es hat selten ein Lied gewonnen, das es mehr verdient hat und dem ich es mehr gegönnt hätte, und es halt wohl noch niemals zuvor jemand eine so kluge Rede gehalten wie der Sieger (wofür er jetzt prompt von der Humba-Humba-Tätärää Fraktion im Netz einen Shitstorm bekommt): “I want to say that we live in a world of disposable music, fast food music without any content. And I think this can be a victory for music, with people that make music that actually means something. Music is not fireworks, music is feeling, so let’s try to really change this, and bring music back, which is really what matters.”
