OneHitWonder hat geschrieben:
cross hat geschrieben:Mir fällt grad auf, dass ich fast nur Frauenstimmen höre... hmmm.
Interessant. Ich auch. Ist mir selbst gar nie aufgefallen, bis meine Frau es vor Jahren mal "bemängelt" hat. Hab' ich nie drüber nachgedacht, ist aber bis auf ganz wenige Ausnahmen tatsächlich so.
Mir wurde zugetragen, daß ich in der Redaktion vom Empire inzwischen den Ruf eines "Frauenverstehers" weghabe und zweimal wurde mir sogar schon was zugeschickt, mit der Behauptung, daß ich "da vielleicht was mit anfangen könnte"...
Die Wahrheit ist, meines Erachtens, sehr viel allgemeiner, komplizierter und auch interessanter. Anfang der 80er fing der Autor Jerry Thackray unter dem Pseudonym "The Legend" an, Kritiken für den englischen N.M.E. zu schreiben (den ich damals über Jahre abonniert hatte, bis er 1988 verkauft und von den neuen Verlegern qualitativ gekillt wurde). Thackray war der radikalste Vertreter der stilistischenen End-70er Punk/Fanzine Schule, und verankerte alle seine Kritiken offen subjektiv in der realen Welt bis hin in sein eigenes privates Leben hinein. So weit gehe ich selbst nicht, bin selber aber auch von dieser Ära am stärksten geprägt und mit meinem Stil verwurzelt.
Und einmal postulierte "The Legend" eine radikale These, nämlich daß es für junge Männer lediglich zwei Gründe gäbe, warum sie in einer Rockband spielen: Entweder, um Frauen zu bekommen, oder aus der Frustration heraus, keine Frauen bekommen zu können (Thackray machte selber Underground-Platten und bekannte sich umgehend zu letzterem).
Die These ist selbstverständlich polemisch überspitzt (und verlangt noch mindestens, "Frauen" mit "Partner" zu ersetzen, angesichts der großen Zahl homosexueller Künstler im Allgemeinen), aber sie ist fatal nahe an der Realität. Dabei spreche ich nicht von den Musikern und Bands "die es geschafft haben", und folglich bereits am Ende eines Filterungsprozesses stehen, aber von dem kreativen Sud ganz unten und ganz am Anfang, der überhaupt erstmal den Nährboden betritt, aus dem die erfolgreichen Acts anfangen zu wachsen.
In den 80ern hatte ich persönlich mit sehr sehr vielen MusikerInnen aus den Hinterhöfen zu tun und würde (mit der gleichen Lust an der Überspitzung wie Thackray) Folgendes postulieren:
Greift man sich zufällig 100 junge Männer aus der Szene der neu beginnenden Underground-Acts zusammen, so haben 90 von ihnen genau einen der beiden oben genannten Gründe. Greift man sich aber 100 junge Frauen heraus, so gibt es unter ihnen 90 verschiedene und individuelle Gründe, warum sie auf eine Bühne steigen und Lärm machen wollen.
Das bedeutet mitnichten, daß Frauen kreativer oder "besser" wären, als Männer. Auf die einzelne Person bezogen ist es die gleiche Leidenschaft, Inspiration, Motiviation und auf lange Sicht der gleiche Fleiß, das gleiche Talent (oder der gleiche Mangel daran). Aber es bedeutet, daß der *Inhalt* von weiblicher Musik ein größeres Potential hat, ungewöhnlich zu werden. Wirft man 5 Jungs in einer Band zusammen, wollen sie eher das gleiche, und damit auch das gleiche wie die 5 anderen Bands in der Stadt. Wirft man 5 Mädels zusammen, wollen 3-4 von ihnen eher etwas sehr eigenes und individuelles, und es ist diese Situation, daß dann auch die Band etwas sehr spezielles wird - und falls es 2 weitere Mädel-Bands in der Gemeinde gibt, etwas anderes als die.
Und hört man über Jahre sehr sehr viele (neue) Musik, kommt man auch als Hörer nicht umhin, diesem Phänomen Rechnung zu tragen (sei es bewußt oder unbewußt). Wenn ich in einem Plattenladen 5 mir unbekannte Acts in einer interessant ausehenden Kiste finde, eine von einer Frau, Frauen- oder gemischten Band, der Rest nach Adrenalin aussehende Jungs, dann ist einfach die Chance am größten, von den Künsterinnen etwas Spannendes zu hören - und somit schenkt man ihnen dann, per se, die größere Beachtung.