1) Es wird nun *wirklich* Zeit, den Modus zu überdenken
Die Jurys wieder (zusätzlich) einzuführen war eine gute Idee, und der neue Auszählungsmodus ist spätestens mit der diesjährigen Modifikation ein Knaller. Ich hing an dem verschnarchten uralten Modus, aber ehrlich - jetzt will ich ihn nicht mehr zurück.
Aber etwas anderes: Diese Weißrußland-Farce (siehe Posting davor) konnte überhaupt nur passieren, weil die Jury-Votings ein verlogener Bullshit sind. Die Jurys stimmen bei den *Proben* ab, fast eine Woche vor dem Finale. Und dann sind die Stimmen fix, egal was passiert. Ein Sänger kann im Finale live einen Hustenanfall bekommen oder komplett einen halben Ton zu tief singen und bekommt trotzdem 12 Punkte von der Jury, wenn er nur ein paar Tage vorher richtig gesungen hat. Klopf Klopf Klopf hallo McFly jemand zuhause?

Das ist ein *Live*-Finale, und die Jurys sollen es sich gefälligst *ansehen* und *anhören* und dann das benoten, was am Samstagabend auf der Bühne passiert ist, und dann klappt's auch mit Weißrußland.
Und die "Bloody 5" gehören *abgeschafft*, und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn man es nicht schafft, bei 20 Teilnehmern, von denen 15 ohnehin halbseiden sind, in die bessere Hälfte zu kommen, dann hat man im Finale nichts verloren, Punkt. ABER: Wenn man im Halbfinale antritt, dann kennen einen sehr viele Leute schon, und dann taucht man nicht im Finale auf wie das Kaninchen aus dem Hut - und mit dem psychologischen Menetekel "war ja automatisch qualifiziert".
Wenn Deutschland glaubt, daß wir zuviel Geld in die Eurovision einzahlen, dann müssten wir halt austreten - oder wir nehmen es gefälligst so, wie es gedacht ist, eine Solidargemeinschaft, in der die Stärkeren die Schwächeren unterstützen. Der DFB zahlt mit Sicherheit auch ein Schweinegeld an die FIFA, aber sind damit Deutschland, Frankreich, Italien und Brasilien automatisch in die Halbfinals gesetzt?
Dafür, daß sich Deutschland im *einzigen* Jahr der fünfeinhalb Jahrzehnte, in dem wir halt mal nicht im Finale waren, geweigert hat, das Finale live zu übertragen, hätten wir für 5 Jahre gesperrt gehört und nicht bis in alle Ewigkeit belohnt. Meine 4 Pfennige.

2) Spaß mit Mathe
Ja, Mathematik ist schwierig, aber man kann es doch wenigstens versuchen zu erklären, wenn man schon zu den steuerfinanzierten Qualitäts- und Wahrheits-Journalisten gehört, oder?
Nun ist wieder allüberall zu lesen, daß Deutschland beim Publikum "überall auf dem letzten Platz" gelandet ist. Setzen, Sechs!
Jetzt lassen wir das mal die Maus erklären: Null Punkte bekommt man, wenn man mittelmäßig ist. Klingt komisch, ist aber so (klick, klick).
Jedes Land vergibt 12, 10, 8-1 Punkte an die vorderen 10, die hinteren 15 bekommen keine Punkte. Wären S!sters am Ende auf Platz 11 des Gesamtfeldes gelandet, wäre Peter Urban komplett zufrieden gewesen und hätte von einem "sehr guten Ergebnis" gesprochen.
Aber... wenn wir im einzelnen Land X auf Platz 11 landen, dann bekommen wir vom Land X... null Punkte! Und wenn wir bei *allen* Ländern zwischen den Plätzen 11-15 landen (also in der oberen Hälfte), dann bekommen wir von allen zusammen... null Punkte!
Dieses Endergebnis heißt nämlich *nicht*, daß wir überall auf dem letzten Platz waren. Tatsächlich ist es schwierig, mit einem grotesk schlechten Beitrag keine Punkte zu bekommen. Warum? Weil es bei Trash immer 3-4 Spaßvogel-Länder gibt, die das dann grade wählen, und sobald man *irgendwo* in 42 Ländern in die Top 10 rutscht, bekommt man auch Punkte.
Null Punkte Endergebnis kann man eigentlich nur erhalten, wenn man absolut unspektakuläres Mittelmaß ist. Nicht schlecht, aber halt auch nicht richtig gut - sondern "stört die Hausfrau nicht beim Bügeln".

3) Der Blick nach draußen
Meine Einordnung mit den 3 ESC-Motiven hab ich ja schon zur Genüge vorgestellt, und Deutschland tritt traditionell immer so an, wie wir selbst gerne von den anderen gesehen werden möchten.
S!sters waren weiblich (und Deutschland ist ja auch total weiblich!), S!sters waren jung (und Deutschland ist ja auch total jung!), S!sters waren modern (und Deutschland ist ja auch total modern!), S!sters waren frech (und Deutschland ist ja auch total frech!), S!sters waren engagiert (und Deutschland ist ja auch total engagiert!), S!sters waren emanzipiert (und Deutschland ist ja auch total emanzipiert!), S!sters waren witzisch (und Deutschland ist ja auch total witzisch!), und dann haben S!sters auch noch das "i" durch ein "!" ersetzt weil sie total kewl sind (und Deutschland ist ja auch total kewl!).
Und dieses Mal haben die Zuschauer halt unisono allüberall in Europa diesen Gestank der Verzweiflung so weit wahrgenommen, daß es nirgendwo für die Top 10 gereicht hat. Mit "keiner hat uns lieb" hat das nichts zu tun, hatte es nie zu tun und wird es auch nie zu tun haben. Das ist eher das Problem der Engländer...

4) ...und was man vielleicht besser machen könnte
Ursachenforschung ist ein Minenfeld, weil es immer mehrere Parameter gibt, und oft gibt es Seiteneffekte. Zur Zeit ist man ratlos, warum Lena und Michael Schulte so gut waren und alle anderen nicht. Dabei hat man da doch nichts "anders" gemacht? Doch, hat man...
Fangen wir mit Schulte mal an. Der war ein "richtiger" Musiker, hatte lange Jahre Erfahrung und machte im ESC "sein Ding". Ein typisches Lied von ihm, das ihm wichtig war, er brachte es so, wie er seine Lieder bringt, und am Ende war er Platz 4.
Die Frau, die die Logik durcheinanderbringt, war Lena. Die war gecastet und sang ein fremdes Lied. Aber hier kommen die "anderen Parameter" ins Spiel. Betrachtet man sich ihre weitere Karriere bis heute, muß man eingestehen, daß sie tatsächlich eine "richtige" Musikerin ist. Ihre Stimme taugt was, ihre Songauswahl taugt etwas - auch wenn man persönlich einen anderen Geschmack hat, kann man ihr nicht absprechen, daß ihre Musik handwerklich tatsächlich etwas taugt und auch nachhaltig ist. Loreen hat den ESC gewonnen, kennt *irgendwer* ein zweites Lied von ihr? Hatte *die* eine Karriere danach? Der Umstand, daß Lena durch ein Casting entdeckt wurde, ist daher nur ein Zufall - denn sie ist nicht in einem Topf mit denen, die durch Castings gehen, weil sie Popstars *sein wollen*, ohne es *zu werden*!
Und die beiden haben gut abgeschnitten. Aber Moment - gibt es da nicht sofort Gegenbeispiele?
Im Folgejahr enttäuschte Lena - auch wenn sie niemals erneut gewonnen hätte, so schlecht hatte es keiner erwartet. Aber wenn man sich an das zweite Casting erinnert, dann hatte Stefan Raab von Anfang an (!) dieses eine Lied gepusht, und zwar aus reinem Kalkül. Er redete ständig davon, wie die visuelle Optik im Finale wirkt und wie man sich mit diesem Lied gegen "die Kettensägen aus der Ukraine" positionieren kann. Es ging ihm nicht um die *Musik*, sondern um das Kalkül. Und was kam dabei heraus? Kein Blumentopf.
Und dann wäre noch Levina, die hat(te) eine eigene Band in London und dort eine lokale Karriere. So wie Michael Schulte. Ja... aber sie konnte nicht mit ihrem eigenen Material antreten, sondern mit einem Lied, das ihr irgendein Schlaumeier vom Fernsehen aufgedrückt hat, und während sie im Vorentscheid wenigstens noch so performen konnte, wie sie wollte, bekam sie dann im Finale noch ein künstlich optimiertes Outfit (das nicht zu ihr paßte) und mußte sich wie jedes Jahr die Füße auf den Boden befestigen lassen (hoffen wir mal, daß es doch eher Sekundenkleber und keine Nägel waren).
Und *alle* anderen der letzten Jahre waren gleich irgendwelche Möchtegerns, aus Karteikästen von Agenturen gezogen, die selbst keine Ahnung hatten, was sie eigentlich wollen (außer berühmt werden), irgendwelche Songs bekamen, von irgendwelchen "Profis", und dann so hingestellt wurden, wie die ARD es befiehlt. Und alles davon ging den Bach runter.
Was also sollen "wir" machen, damit es besser wird? Ich würde sagen: Gleich nur MusikerInnen in die Vorauswahl holen, die selbst *Musik* machen und machen wollen, diese machen lassen, was sie wünschen und vor allem können, und dann nicht nur in Deutschland vorabstimmen lassen, sondern repräsentativ von EU-Zuschauern.
Und dann Jahr für Jahr mit einem *ordentlichen* Lied antreten, das wir als *Lied* mögen (und nicht als taktische Waffe, politisches Statement oder bornierte kulturelle Selbstdarstellung) und dann akzeptieren, wenn es auch immer mal wieder weiter hinten landet. Ehrlich: Ich war selber von Michael Schultes Lied nicht begeistert, aber er hat einen Nerv getroffen und die Leute erreicht. Weil man es ihn hat *machen* lassen.
