Ich denke zunächst einmal, daß ein Vergleich mit "Gourmandises" nicht ganz gerecht ist, da letzteres zur Zeit des zweiten kreativen Höhenflugs ihrer musikalischen Partnerschaft entstanden war, und - nach allem was so durchgesickert ist - ursprünglich ein Farmer-Album hätte werden sollen.
Ein besserer Vergleich wäre somit "Mes Courants Electriques", das sie sich damals nach dem Erfolg von "Gourmandises" kurzfristig aus den Rippen schneiden mußten. Und tatsächlich klingt das "Julia" Album ziemlich exakt wie ein Klon von "Mes Courants Electriques". Das einzige Stück, das ich mir von/für Farmer selbst vorstellen könnte, wäre "My Lovely Day", bei "9 Vies" klingt Julia *exakt* wie ein Alizée-Zylon, bei den anderen Stücken hat sie einen mini-minimal erwachseneren Charakter in den Vocals.
Ich finde das Album, objektiv gesehen, nicht schlecht. Für deutsche Verhältnisse wäre es ein exzellentes Pop-Album, für französische Maßstäbe ist es ein "ordentliches" Album. Nach der initalen "Sexto"-Single hatte ich mal befürchtet, das Ganze würde zum Fremdschämen, dem ist absolut nicht so.
Trotzdem finde ich das Album irgendwie sehr irritierend, um nicht zu sagen etwas verstörend... weil ich durch einen gewissen Zufall grade dieser Tage über ein anderes Album geschrieben habe, das mich ziemlich irritierte, und nun irritiert mich doppelt, daß ich bei Julia auf das Gleiche anders reagiere.
Vor zwei Wochen hatte ich "Hate For Sale" von den Pretenders auf den Tisch bekommen, und das Album klingt, als wäre es aus einem Wurmloch aus einem anderen Paralleluniversum gefallen. Wer mit der Band nicht so affin ist, die Hälfte der Pretenders ist 1982 nach zwei LPs innerhalb weniger Monate verstorben, und alle Inkarnationen danach waren für mich niemals mehr die gleiche Band (auch wenn ich die meisten ihrer Platten weiter mochte). Jetzt haben sie ein Studioalbum gemacht, das *exakt* wie ein fiktives drittes Album der alten Band klingt, und ich mußte mich fragen, warum ich darüber so glücklich bin, obgleich ich es *nicht* mag, wenn alte Leute versuchen, wieder jung zu sein...
Und warum ich "Hate For Sale" so sehr mag, aber ein "drittes altes" Alizée-Album so ganz grundsätzlich befremdlich finde... vielleicht weil 40 Jahre mehr Distanz schaffen, als 20 Jahre...?
Ich fand ehrlich gesagt "Appelle mon numéro" schon merkwürdig anachronistisch, eine schöne Melodie, aber eher ein Alizée-Stück und bereits 2009 irgendwie ein wenig aus der Zeit gefallen. Und auch die sporadischen weiteren Boutonnat-Songs, "Drôle de Creepie", "C'est pas l'heure", sogar "Du temps" - das ist mir alles immer wie aus einer Vergangenheit gewesen, als wären es alte Songs von 2000 aus einer Schublade.
Insofern hatte mich "Monkey Me" überrascht, das ich übrigens nicht so schwach finde, wie die Mehrzahl hier - weil es zumindest einen leichten eigenen stilistischen Ton hatte, der sich von den jeweiligen früheren Alben unterschied.
Ich denke, was mich an Julia jetzt so irritiert, ist einfach das Konstrukt dahinter. Einer Rockband unterstellt man immer irgendwie, daß "sie es ernst meint", und wenn sie nach 40 Jahren die eigene Vergangenheit wieder besucht, dann funktioniert es eben entweder, oder nicht.
Aber Alizée war ja eine Puppe an den Fäden, so wie Julia, und wenn nun nach 20 Jahren genau so eine Puppe wieder genau das gleiche singt und tanzt, dann stellt sich die Frage... Warum?
Was ist eigentlich aus Lisa Gautier geworden? Es hieß damals, Madame wolle ein Album mit ihr machen, aber dann ist sie irgendwie spurlos verschollen...