Werner hat geschrieben: 1. Jul 2023, 13:26Die Schuldigen sind all jene, die selbst rassistische Ressentiments befördern, so dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass ein Polizist glaubte, einfach mal jemand erschießen zu dürfen, dessen Hautfarbe ihm nicht passte...
Ich hätte heute gerne Eindrücke von meinem dritten Konzert der „Nevermore“ Tour gepostet; stattdessen sitze ich nahe der Kirche St. Eustache bei Les Halles. Hier und auch im Viertel rund um die Philharmonie, wo ich übernachtet und heute Morgen die Tim Burton Ausstellung besucht habe, deutet nichts auf Ausschreitungen hin. Es gibt nicht einmal eine erhöhte Präsenz der Polizei. Ja, die Polizei, die doch letztlich an den Unruhen schuld ist. Die ein Rassismusproblem hat, wie auch in den deutschen Zeitungen zu lesen ist. Ganz sicher, und das habe ich gestern schon geschrieben, gibt es allgemein ein Problem der Gewaltbereitschaft, das sehr pauschal gesagt in Frankreich größer ist als in Deutschland. Aber das betrifft alle Seiten. Weder die Proteste der Gelbwesten oder die Gewalt nach dem sicher erforderlichen Anheben des Rentenalters, noch die jetzigen Ausschreitungen halte ich in gleichem Mass für Deutschland vorstellbar.
Kleine Anekdote von gestern Nachmittag: Auf dem Weg nach St. Denis, als ich noch nicht wusste, dass die Konzerte demnächst annulliert werden, bin ich mit der RER B von Châtelet aus gefahren, die aber nicht am Stade de France gehalten hat, sondern weiter bis Aulnay-sous-Bois fuhr. Ich musste wieder zurück vom anderen Gleis und (warum auch immer) wurde dieses Mal in La Courneuve-Aubervilliers bereits die Haltestelle La Plaine-Stade de France vom Zugführer verkündet und ich bin zu früh ausgestiegen. Für den Fußweg zum Hotel war das egal, es war von dieser Haltestelle genauso weit zu gehen. Aber mir sind tatsächlich ausschließlich people of colour, wie sie ja genannt werden möchten, auf meinem Spaziergang begegnet und zwar wohl ganz überwiegend Muslime. Zumindest die Frauen waren als solche erkennbar. Und genauso war es dann in der Tram, als ich mich später wieder auf den Weg nach Paris gemacht habe. Ich habe mich übrigens weder unwohl, noch unsicher gefühlt, obwohl ich definitiv aussah wie ein verirrter Tourist, der ich ja auch war. Ja, es gibt ein Gewaltproblem bei der französischen Polizei. Aber ein immanenter Rassismus? Wenn in den Banlieues fast nur Migranten leben, kann nahezu jeder Konflikt ja fast zwangsläufig nur die betreffen. Das rechtfertigt selbstverständlich keinesfalls den tödlichen Schuss auf den Jugendlichen in Nanterre. Aber am Ende war es eben ein einzelner Mensch, der übrigens in Haft sitzt, und nicht die Institution Polizei.
Auch bei uns gibt es ja Rechtsradikalismus in der Polizei. Und damit zurück nach Deutschland: meiner Meinung nach wird hier vieles totgeschwiegen im Hinblick auf Probleme der Integration und Gewalt. Im April gab es in Frankfurt eine Konferenz, die sich mit den großen Problemen der Kommunen im Hinblick auf die weitgehend unbeschränkte Migration und Integration in Deutschland beschäftigen sollte. Berichtet wurde in den öffentlich-rechtlichen Sendern nur darüber, dass Boris Palmer das N-Wort benutzt hatte. In den letzten Wochen kam es in vielen deutschen Städten, besonders heftig u.a. in Berlin und Stuttgart, in den Freibädern zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen, oft Minderjährige, durch Migranten. Gelesen habe ich davon nur in der NZZ, nicht in der eigenen Presse. Natürlich sind das wenige, natürlich ist es unentschuldbar, wenn bei mylene.net jede Menge rassistischer Kommentare auftauchen. Aber die Rechten in Frankreich wie bei uns profitieren davon. Und wenn Eric Zemmour bei Twitter über Macron spottet, der jetzt Videospiele und TikTok für die Gewalt verantwortlich macht und nicht eine scheiternde Integration, dann kann ich das sogar teilweise nachvollziehen. Ich bin müde, ich bin desillusioniert heute. In vier Stunden fährt mein Zug und eigentlich hätte ich im Stade de France gesessen. Ich habe keine Lust mehr.