
Hardy war (in einigen Aspekten) "wichtiger als die Beatles", sie hat Tugenden Jahre vorweggenommen, die man später Frauen wie Grace Slick oder Chrissie Hynde zuschrieb, und sie hat so ganz nebenbei fünf Jahrzehnte lang geniale Platten gemacht... Aber ihr Back-Catalogue ist seit ebenfalls Jahrzehnten seitens der Plattenfirmen in einem verheerendem Zustand, an dem sie selbst zugegebenerweise auch eine Mitschuld trägt - aber das kann und darf auch nicht Ausrede für alles sein...
Nun, so wie es aussieht tut sich da aber grade etwas, und das nehme ich mal zum Anlaß, zu dem Thema und der Frau ein eigenes Faß aufzumachen. Hardy gilt als personifiziertes "Yeh Yeh Girl" (und damit als französische Beat-Epigonin), was aber selbst die meisten Sixties Experten kaum auf dem Radar haben ist, daß Hardys Debut-LP noch deutlich vor der ersten Platte der Beatles herauskam, und daß sie die erste erfolgreiche Musikerin/Autorin war, die den Löwenanteil ihres Materials selbst schrieb - ein Privileg dessen Erkämpfung man heute meist den Beatles zuspricht.
Wobei genau dieser Umstand ironischerweise auch den Grundstein für jahrzehntelange rechtliche Probleme und den traurigen Zustand ihrer Discographie legte - denn nach französischem Recht "gehörte" die Autorenschaft neuer Lieder damals automatisch dem Produzenten (!) der Platten, und nicht etwa der Person, die sie geschrieben hat... dieser perverse Unfug wurde erst Jahre später per Gesetz abgeschafft, aber rückwirkend mußte man sich einigen, was in Hardys Fall mit jeder Menge Sturheit auf beiden Seiten nicht geschah. Und in Folge verschwand ihr Frühwerk immer wieder nach kurzer Zeit vom Markt, bis auf ein ewig gleiches Set an Titeln auf unzählbaren (und unsäglichen) Trash-Compilations. Daran trägt sie selbst, wie erwähnt, auch ihren Beitrag, aber für den Sammler (respektive Musikhistoriker) ist das kaum ein Trost.
Nachdem also nun, mit ihrer eigenen "Mithilfe", CDs ihrer frühen Vogue-Aufnahmen immer wieder in Rekordzeit vom Markt flogen (und danach nur noch obszön teuer zu bekommen waren), erschien zuletzt 2009 eine Box von Sony/BMG der ersten 6 Alben (fünf französische und das erste englische) die auf dem Markt blieb:

La Collection 62-66 (Coffret 6 CD)
So erfreulich die Schachtel ist, und so (relativ) hoch meine Meinung von Sony/BMG, was Re-Issues und Kulturpflege alter Aufnahmen angeht (quasi die Einäugigen unter den anderen beiden Blinden) ist, so hat man sich mit der Box allerdings nur teilweise mit Ruhm bekleckert. Gegenüber den früheren vergriffenen CDs fehlten tatsächlich ein paar der Singles als Bonus-Tracks, und dann hat die englische LP auch noch einen groben Mastering-Fehler, der nie korrigiert wurde, und den man nur durch den Erwerb einer weiteren CD kompensieren konnte und kann. Aber immerhin, ihr Frühwerk ist wieder (halbwegs umfassend) auf dem Markt.
Und nun hat sich der Zahn der Zeit auf 50 Jahre durchgenagt, und wie es aussieht, scheinen die Vogue Aufnahmen mehr oder weniger vogelfrei zu werden, denn seit Anfang 2013 hagelt es plötzlich teils gewissenhafte, teil halbseidene Wiederveröffentlichungen - immer schön nach Ablauf der besagten 50 Jahre.
Den Anfang machte Cherry Red in UK mit einer exzellent aufgearbeiteten CD ihres Debut-Albums (mit den inoffiziellen Namen "Tout les garcons et les filles" und "The Yeh Yeh Girl from Paris"):

Francoise Hardy (Debut)
Die zusätzliche Überraschung daran waren die Bonus-Tracks, nämlich die komplette erste italienische LP. Hardy verwarf später alle fremdsprachigen Aufnahmen, aber speziell die italienischen waren und sind die obskursten von allen und heute kaum überhaupt noch aufzutreiben. Die einzige CD Ausgabe jemals war eine lange vergriffene CD namens "Il Meglio" mit 8 der 10 Titel der ersten LP. So wie es aussieht hatte Cherry Red exakt diese 8 Aufnahmen, wahrscheinlich auch exakt von dieser CD, und die fehlenden zwei Tracks wurden von (ziemlich rumpeligen) Vinyl-Platten kopiert. Nichtsdestotrotz im letzten Jahr eine kleine Sensation.
Bis nun dieses Jahr kein Halten mehr zu sein scheint und drei aktuelle Neuausgaben die Cherry Red CD schon wieder ausstechen. Die vom Inhalt mit Abstand besten CDs mit den Vogue Alben 1 und 2 erschienen nun auf dem französischen Liebhaber-Label "Magic-Records":

Tout les garcons et les filles

Le 1er bonheur du jour
Das erste Album enthält als Bonus den kompletten Mono-Mix der LP (was bei Sixties-Alben, aus den bekannten Gründen, immer die erste Wahl ist), das zweite Album enthält diverse Singles als Bonus, sowie 6 italienische Tracks aus der Zeit - wie gesagt, 1963 ist aktuell wohl der rechtliche Flaschenhals.
Und es gibt eine weitere Wiederveröffentlichung aus Italien, die die Cherry Red CD damit obsolet macht:

Réédition Italienne/Disques Vogue
Diese CD enthält die komplette erste italienische LP in (leider) der gleichen gemischten Klangqualität wie die Cherry Red Bonus-Tracks, plus weitere 12 Bonus-Tracks mit allen restlichen italienischen Aufnahmen vor 1964, der Großteil davon zum ersten Mal überhaupt auf CD.
Damit ergibt sich für's erste eine recht klare Kaufempfehlung... wer nicht bis 2017 warten will und mit den Patzern in der Sony-Box leben kann, besorgt sich am besten genau diese, solange sie auf dem Markt bleibt. Ansonsten sind die beiden CDs auf Magic-Records erste Wahl, plus (für Komplettisten und Historiker) die italienische CD auf Jolly-Records. Und nächstes Jahr kann man dann wohl auf eine Ausgabe der "Mon amie la rose" LP von 1964 auf Magic-Records spechten.
Aber eins noch zu dem Thema...
So erfreulich die Situation auch auf den ersten Blick scheinen mag, daß sich nun Liebhaber-Labels auf dem Markt melden und diese Lücken schließen - aber keines dieser Labels hat Zugriff auf die Masterbänder. Im besten Fall könnten sie (teures) Original-Vinyl erwerben und restaurieren, was gar nicht so schlecht sein muß, denn wenn es nicht verkratzt und verformt ist, hielt sich darauf der Klang in 1:1, während Magnetbänder nach 50 Jahren *immer* in einem hörbaren Maß degeneriert sind.
Tatsächlich macht man sich diese Kosten und Mühen aber nicht und bediente sich eher im Netz - und speziell einige der Aufnahmen auf der italienischen CD stammen hörbar von mittelmäßigen MP3. Gut remastert, im Rahmen der Möglichkeiten, aber eben nicht so wie es sein könnte und sein sollte.
Ich habe *kein* Verständnis dafür, daß sich Sony/BMG nicht darum kümmerte, solange sie noch die exklusiven Rechte an den Aufnahmen hatten - auch wenn die Uhr tickte. Jetzt ist der Zug durch, denn ob Sony heute noch Zeit, Geld und Arbeit in Alben steckt, die es "vogelfrei" von einem Dutzend Trittbrettfahrern auf dem Markt gibt, ist fraglich - und damit dürften die Originalbänder, soweit sie noch existieren, in den Archiven bleiben bis sie wirklich verrottet sind.